ENNO PATALAS – FILMMUSEUMSLEITER
FILMSAMMLER und RESTAURATOR
Eine Kinemathek entsteht
Die Lust Filme zu sammeln, zu rekonstruieren und zu restaurieren begann mit unzulänglichen Kopien, sie ließen ihn zum Filmrestaurator werden, sagt Enno Patalas. Er hatte 1973 die „Leitung“ der Abteilung Photo- und Filmmuseum im Stadtmuseum München von seinem Vorgänger Rudolph S. Joseph übernommen, ein schwieriges Amt. Dieser, Jahrgang 1904 und aus Frankfurt a.M. gebürtig, hatte nach 1933 in Paris mit G.W. Papst zusammengearbeitet und war – als jüdischer Emigrant – nach jahrelanger Odyssee quer durch Europa zumeist als „Associate Producer“ in Filmproduktion und ~vertrieb tätig. Schließlich 1939 in den USA angekommen hatte er an dem Zustandekommen bedeutender Emigrationsfilme in den 1940ern mitgewirkt. Als er 1963 zum Filmbeauftragten der Stadt München berufen wurde, das erste kommunale Filmmuseum in Deutschland aufzubauen, verwendete er die bereitgestellten Gelder erst einmal für Filmvorführungen, Ausstellungen, Publikationen und Vorträge sowie den Ankauf von Drehbüchern und Fotografien und das durchaus erfolgreich. Die Suche nach Filmkopien wurde dagegen zurückgestellt für ein geplantes nationales Filmarchiv. Als diese Planung sich hinzog, begann Joseph mit dem Ankauf von Filmkopien, deren Anzahl bis zur Übernahme der Filmabteilung durch Patalas zwar angewachsen aber nicht als Konkurrenz „sondern als Ergänzung des Filmverleihs und der Kinotheater“ gedacht war, wie Joseph die argwöhnische Privatwirtschaft der zahlreichen Münchner Kinobetreiber beruhigte.
Auf dem Programm der neuen Filmabteilung des Stadtmuseums München standen von Anbeginn an Filme aus allen Ländern in Originalton zu zeigen und unter filmhistorischen Aspekten vorzustellen. Neben Lob gab es im angeheizten Klima des Generationenkonflikts der 1960er Jahre seitens der „Jungen“ zusehends Kritik an Defiziten der neuen Münchner Instution. So in der von Enno Patalas geleiteten Filmkritik, ungeachtet der Mittelknappheit der Gründerjahre dieser Filmabteilung und ihrer vielen Einschränkungen und ohne Rücksicht auf die spezifische Geschichte jüdischer Remigranten im Nachkriegsdeutschland – ein blinder Fleck in der Kritik der Jüngeren im Umgang mit der Kriegsgeneration, die das damalige politische wie gesellschaftliche Klima der Nachkriegszeit und ihrer NS-Vergangenheit bis in die 1970er Jahre kennzeichnet. Gegen den Vorschlag von Patalas, einen Beirat aus Filmregisseuren und Filmkritikern für das Filmmuseum zu gründen, verwahrte sich Joseph 1968 abwehrend wider linke Ambitionen: „Die rechtliche Grundlage für die Leitung des Film-Museums sieht weder eine Räteregierung noch eine Beiräteregierung vor.“
Enno Patalas übernahm bei Antritt einen noch recht spärlichen Filmstock im Vergleich zu anderen ausländischen Filminstituten und bemühte sich im Austausch mit Kinematheken in aller Welt wie Paris, London, Amsterdam, Kopenhagen, Stockholm, Tokio, den Sammlungsschwerpunkt auf den Ausbau einer vom NS Regime verbotenen – vernachlässigten – wenn nicht zerstörten – oder aber ausgewanderten deutschen Filmproduktion zu legen. Den Erwerb und Rückkauf von Stummfilmen zu beschleunigen – oft im Tausch gegen deutsche Neuproduktionen oder amerikanische Western – war ein Hauptanliegen: so konnnte er deutsche Stummfilmkopien vom Moskauer Filmarchiv Gosfilmofond und anderen Filmarchiven erwerben, die oft in nicht mehr besten Zustand restauriert werden mußten. Hauptwerke der sowjetischen Produktion der 1920er und 1930er Jahre kamen als Dauerleihgaben nach München: Kuleschow, Wertow, Eisenstein, Pudowkin, Barnet u.v.a. – Bei den Verleih-und Produktionsfirmen wurden Spielfilme angekauft in Originalfassung und oft mit deutschen Untertiteln (Bunuel-Clair-Bresson-Bergman-Kurosawa-Pasolini- Godar-Rocha – Varda. Vor allem fanden bei ihm die deutschen Jungfilmer eine Aufnahme und der Junge Deutsche Film ein Archiv, also Werke von Jungfilmern, von denen viele damals in München ansässig und vom Verleihmarkt unabhängig waren: so Straub -Huillet, Herzog, Schroeter, Praunheim, Costard, Kristl wie auch Fassbinder, Thome, Achternbusch und Wenders. Zumeist waren dies Dokumentar – und Kurzfilme. In der kommenden Zeit entstanden internationales Aufsehen erregende Restaurierungen deutscher Stummfilme unter seiner Leitung, die er in den Filmarchiven der Welt aufspürte und mit seinen Mitarbeitern mithilfe schriftlicher Belege wie Drehbüchern, Zensurkarten und schriftlichen Zeugnissen historisch akribisch rekonstruierte und zusammensetzte und bis in die Zwischentitel möglichst original getreu erneuerte: eine zeitzehrende Arbeit.
Zum Anspruch des Filmmuseums gehörte das Zeigen vollständiger Reihen, in Originalfassung und großmöglichsten Vollständigkeit. Zu den legendären Restaurierungen in seiner Ägide – die in aller Welt bis heute gezeigt werden – gehörten u.a. „Die Nibelungen“, „Das Weib des Pharao“ (alle 1977), „Nosferatu (1987) und „Metropolis“ (1988), zumeist mit Orchesterbegleitung ein Gesellschaftsereignis bei Premieren. So wurde ein wertvoller kinematographischer Nationalbesitz gerettet und zugänglich gemacht wie weltweit gefeiert. Noch 1977 verfügte das Filmmuseum München nur über drei Planstellen, die kaum die anfallende Arbeit bewältigen konnten, was zu wiederholten Anträgen führte, die eine Ausweitung des Mitarbeiterstabes und der Räumlichkeiten mit beispielsweise einer zweiten Spielstätte und einer Videothek forderten, auch für die zeitgenössischen Filmproduktionen – aber im Kulturreferat wiederholt aus Etatgründen abgelehnt wurden.
1992 erwog Enno Patalas erstmals den Rückzug bereits vor der Pensionierung, nach wiederholten Mittelkürzungen und Verweigerung der Ausweitung des Kinobetiebes mit einem zweiten Kinosaal. Das Geld reichte gerade, den Betrieb aufrecht zu erhalten, an Erweiterungen des Angebots war nicht mehr zu denken. Unerfüllte Wünsche, verweigerte Planstellen, Budget-Kürzungen gaben für seine Bilanz ein trauriges Bild ab: 1980 standen noch 200.000 Mark für Ankäufe und Restaurierungen zur Verfügung, 1992 waren es „nur noch 120.000 Mark“. Das Programm konnte nur mehr aus eigenen, angekauften Kopien und damit Wiederholungen bestritten werden. Aber Enno Patalas, der die „Filmstadt München“ eigentlich mit erschaffen und zu ihrem internationalen Ruf beigetragen hatte, konnte das Jubiläumsjahr zu „100 Jahre Film“ nicht mehr in Ehren begehen, seine Tätigkeit beendete er im Herbst 1994. Die Münchner Kinemathek – die sich als untergeordnete Abteilung des Stadtmuseums in irreführender Weise bis heute „Filmmuseum“ nennt – sollte gegenüber Theater und Literatur ein Stiefkind der Kulturstadt München bleiben.
[Ein Gespräch mit Enno Patalas, in: Neue Züricher Zeitung, Nr. 150, 2.7.1992, S.46; Peter Buchka, Der Kino-Purist, in: SZ 31.10/1.11.94, S.13; Michael Bitala, Keine Chance für ein schlüssiges Konzept, in: SZ, 1994; Doppelleben. Frieda Grafe und Enno Patalas. Arbeitsdaten und Zeugnisse. Hg. Hochschule der Künste Berlin, 01-Award 2000; mehr dazu in: 50 Jahre Filmmuseum München, Filmmuseum München / Münchner Filmzentrum e.V. 2013].
[ Text: Brigitte Bruns ]
1. Enno Patalas als Filmhistoriker und -kritiker
3. Enno Patalas und das Münchner Filmzentrum (MFZ)