Münchner Filmzentrum
FRIEDA GRAFE: Zu Marlene Dietrich / 4

 

Zu Marlene Dietrichs 100. Geburtstag  (Fortsetzung)

Marlene, die geglaubt hatte, in amerikanischen Genres spielen zu können, sah bald ein, dass sie in Hollywood als Ausländerin reüssiert hatte und dass, um eine Westernfrau zu spielen, es nicht genügte, das Pianola vom Salon in den Saloon zu schieben.

Es geht seit langem der Streit, wer ihr zur Männerkleidung geraten und ihr die Hosen angezogen hat- als ob das bloß eine Frage der Kostümierung gewesen wäre und nicht ein Element ihrer Person, das Sternberg entwickelte, nachdem er sie auf dem Theater gesehen hatte und ihre Schauspielerei ihm wie die eines Frauendarstellers vorgekommen war.

Junge Mädchen heute in Berlin, danach befragt, was der Name Marlene Dietrich ihnen sagt, erinnern sie als die Frau, die für das weibliche Geschlecht die Hosen durchsetzte. Für Sternberg waren sie eine Form der Kinoabstraktion, ein Zeichen, ein Symbol. Sie begriff durch ihn, dass die Frau auf der Leinwand, im Unterschied zum Theater, ein Mischgebilde, eine Synthese ist. Die Technik entsprach ihrem neusachlichen Selbstbewusstsein.

Star mit Kind, allein erziehende Mutter, was Gegenstand von Blonde Venus war, zu dem die Paramount Sternberg zwang, war für Maria Riva, ihre Tochter, unerträglich durch die Beschönigung der wirklichen Situation. Sie ist bis heute, nachzulesen in ihrem Buch, gezeichnet davon, Anhängsel gewesen zu sein. Ihr fehlten mütterliche Liebe und Aufmerksamkeit. Sie wurde, ohne gefragt zu werden, ein Teil von Marlenes Bild.

Gerechtigkeit weit mehr als Sex und sogar Liebe, sagte Sternberg, stehe in seiner Skala der Werte ganz obenan. Aber das war lange nach seiner Glanzzeit mit ihr – die Bitterkeit in seiner Antwort ist kaum zu überhören.

Sie war generöser, bei aller Selbstbezogenheit nach außen gerichtet, dem Publikum entgegen. Sie konnte sich verhalten wie ein Mann, sie kam und ging. »Her Regiment of Lovers« war Sternbergs sarkastischer Titel für The Scarlet Empress, für Katharina die Große, die Marlene zu spielen immer sich gewünscht hatte. Aber das fand die Paramount dann doch zu gewagt.

Um die Hände beim Singen wie ein Mann in die Hüften zu stemmen, braucht man welche, egal wie breit oder wie schal. Das Skandalöse war, wie bei ihr beides zusammenging. Die latente Zweideutigkeit beunruhigte über die Maßen Männer und Frauen.

Sie war beides, ein Mann-Weib – wenn bei dem Ausdruck resolut der negative Anklang weggelassen wird, der ihm von früher her noch anhaftet. Die Bewunderung, die bei latenter Angst darin mitschwingt, würde nicht aufkommen bei einem Mann, der seine weibliche Komponente mitausstellt. Das wusste sie. Sie stand auf männliche Männer und gelegentlich auf Frauen.

 

Aus: die tageszeitung, Berlin, 23. Jahrgang, Nr. 6635, 27.12.2001

 

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Der Text ist der folgenden Publikation entnommen:

Frieda Grafe. Ausgewählte Schriften in 12 Bänden. Herausgegeben

von Enno Patalas. Band 8: Geraffte Zeit, S. 116 – 120.

Brinkmann & Bose Verlag, Berlin (2005).

 

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlags.