Münchner Filmzentrum
Frieda Grafe und die Nouvelle Vague / 3

 

Die Nouvelle Vague im Jahr 2000  (Fortsetzung)

Improvisation ist auch eins dieser Wörter, die wie automatisch der ‚NV zugeordnet wurden; es ist, wie man heute weiß, nicht in dem Sinn zu verstehen, wie die Regieprofis es benutzten, um die Veränderung durch die Neukommer zu verhindern. Es stimmt nicht, dass die neuen Regisseure sich nicht vorbereiteten, dass ihre Filme traditionslos entstanden, dass sie keine Drehbücher und Dialoge schrieben. Der beste Gegenbeweis ist Eric Rohmer, aber auch Paul Gégauff schrieb für sie von Anfang an und Jean Gruault. Es stimmt nicht, dass Godard den Schauspielern par pneu ihre Aufgaben zum nächsten Drehtag zukommen ließ. Wenn er es richtiger fand, dass Marina Vlady zu Fuß zum Drehort in die Banlieue kam, bei Deux ou trois choses, , dann damit sie die Gesten, die Bewegungen der Vorstadtfrauen in sich aufnahm.

Improvisation hieß für die Nouvelle Vague Freiheit von Zwängen und auch, wie französische Redelust sich der Kamera darstellt. Der Dilettantismus hat in Frankreich Tradition. Drei Jahre blieb Le Petit Soldat verboten. Godards Hartnäckigkeit, ihn doch herauszubringen, ist nicht allein seiner Zuneigung zu Anna Karina zu verdanken. Im französischen Kino sind die Vorläufer dieses schwungvollen Amateurismus Jean Renoir und am entgegengesetzten Ende Sacha Guitry. Heute reklamiert Eric Rohmer ich für sich. Ihm ist zu allerletzt Leichtsinn und mangelnde Professionalität vorzuwerfen.

Die technischen Neuerungen, das „schnellere“ Material, die tragbare und geblimpte Kamera waren von großer Hilfe. Aber Coutards Erfindungsreichtum ist nicht zu unterschätzen: „Wenn es einen ästhetischen Bruch gab, dann war das nicht nur Absicht, sondern nicht selten eine Frucht des Zufalls. Als die Leute von der Nouvelle Vague anfingen, hatten sie ein ziemlich schmales Budget. Man musste mit dem auskommen, was man hatte, sich Ersatzlösungen einfallen lasen. Was uns dazu gebracht hat, die traditionellen Techniken außer Acht zulassen.“

Es ist leicht und viel darüber geredet und geschrieben worden, dass die Kerntruppe der gelben Cahiers schrieb, als sie noch nicht drehen konnte. Darüber wird leicht vergessen, dass das Redaktionsbüro an den Champs-Elysées ein Diskussionsort der künftigen Regisseure war. Als der sich auflöste und die Einsamkeit der Macher, wie der romantische Schaffensbegriff es vorschreibt, die Oberhand gewann, war es vor allem Godard, der das bedauerte. Es wird erzählt, dass selbst nach einem erschöpfenden Drehtag er am Abend immer noch die Zeit fand, in der Redaktion vorbeizuschauen. So erklärt er auch die Stärke Hollywoods zur Zeit der Studios damit, dass miteinander geredet wurde. Wie Wissenschaftler diskutieren – ihre Stärke ist, dass sie diskutieren. „Nur Franzosen sind die wirklichen Kritiker, weil sie so gern diskutieren.“ Bei Rivette war die Neigung zum Monologisieren stärker, die anderen nannten ihn deshalb le Pére Joseph, wie Richelieus graue Eminenz. Eric Rohmer gesteht in seiner Unterhaltung mit Jean Narboni, die statt einer Einleitung seinen gesammelten Artikeln in Le goût de la beauté vorausgeht, aus Gruppengeist habe er lobende Artikel über Ophüls und Bergman geschrieben, obwohl seine Begeisterung für sie sich in Grenzen hielt. Während seine Bewunderung für Renoir sein Filmerleben ständig begleitete hat und die für Hawks immer noch wächst.

 

««« Seite 2                                                                                 »»» Seite 4