Münchner Filmzentrum
Frieda Grafe und die Nouvelle Vague / 2

 

Die Nouvelle Vague im Jahr 2000  (Fortsetzung)

Es war ihnen wichtig – und das war die Cinephilie zunächst einmal – , dass sie Macher waren, die bewusst in einer bestimmten Tradition arbeiteten. Sie wählten ihre Vorbilder, die sie je nach Talent und Neigung fortsetzten. Und mit wachsender Kenntnis. André Bazin hatte mit seinen am Neorealismus geschulten Augen das Dokumentarische in der Fiktion erkannt, was Godard bis in die Histoire(s) du cinéma als entscheidend zum Kino gehörig ausweist. Truffaut hat sich für den Schluss von Les Quatre Cents Coups bei Bergmann inspiriert, bei Monika und deren Blick in die Kamera. Luc Moullet erinnert daran, dass es in Stummfilmzeiten üblich war, den Zuschauer zu fragen, ihn dem Geschehen auf der Leinwand zu implizieren. Damals galt noch nicht das Credo der Kontinuierlichkeit, dass man die Kamera nicht spüren dürfe, was das Hollywoodkino erst zur Regel machte.

Auch wenn Serge Daney nicht, wie Moullet, einer der ersten Stunde war, so stimmt doch seine Bemerkung, keiner der Regisseure der Nouvelle Vague hätten den Begriff es Autors, mit dem sie ihre Politik machten, für sich in Anspruch genommen. Zu Autoren wurden sie hauptsächlich von uns Schreibern gemacht. Ihre Autorenpolitik, wie ihre Cinephilie, galt auch den missglückten Filmen eines Regisseurs, weil das Kino sich in ihnen umso deutlicher darstellte. Godard behaupte, Truffaut sei – über Giraudoux – zu dem Slogan vom Autor gekommen, um dem metteur en scéne und dessen Theaterbeigeschmack aus dem Weg zu gehen.

Godard behauptet auch, Henri Decoin, der alte Routinier, sei eines Tages im Studio erschienen und hätte gesagt, Anschlüsse seien aus der Mode. Was man als falsche Anschlüsse und als Markenzeichen von Godards Technik gesehen hat, ist bei ihm viel mehr als das Weglassen des Gegenschusses. Das hätte den Filmdialog nur der Theaterunterhaltung wieder angenähert. Bei Godard ist die Montage, weiterentwickelt, die Eisensteins, die er als Vorform bezeichnet.

Denkmontage, montage mental, ist das Wort, das André S. Labarthe für diesen Vorgang fand. Als Beleg dazu sieht man in den Cahiers du Cinéma zwei übereinander kopierte Einstellungen – von Eve Marie Saint an einem Ort und Cary Grant, nennend, auf den kahlen Maisfeldern, in Hitchcocks North by Northwest. Mit dem Vergleich oder Hinweis wäre Godard einverstanden, der nicht nur immer von neuem versucht, dem Geheimnis des Kinos auf die Spur zu kommen. Für ihn ist Hitchcock der maître de l’univers, der die Welt im Griff hat, weil er als einziger geschafft hat, populäre Kunst zu machen, Massenkunst.

 

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